Kirchenmusikalische Ikonographie in St. Matthias Jork
(Vortrag von Hans-Heinrich Tegtmeyer)
Die Überschrift meint: es gilt Bilder, Figuren und Textstellen in dieser Kirche auf ihre Aussagen hin zu überprüfen. Wenn man das tut, findet man bei einigen eine theologische Aussage zur Kirchenmusik.
Sich im Jahr der Kirchenmusik 2012 mit der theologischen Begründung derselben zu beschäftigen, ist notwendig. Klaus Harprecht, der württembergische Pastorensohn, hat das in der ZEIT der Osterwoche in die Worte gefasst: „Sie kennen keine Choräle mehr, höchstens das erbärmliche E-Gitarren- Geschrammel der neukirchlichen Popmusik.“
Kirchenmusik in der Evangelischen Kirche ist seit der Reformation immer wieder theologisch umstritten. In unserer St. Matthias-Kirche hier gibt es sowohl Pro- als auch Contra-Argumente für die Kirchenmusik aus der Zeit 1661-1715. Sie gilt es zu entziffern. In Borstel, Estebrügge, Hollern, Steinkirchen und Neuenfelde wiederum finden sich nur Pro-Argumente an den Orgelemporen beziehungsweise an der Kirchendecke und an den Balken.
Die großen Orgelneubauten von Arp Schnitger in Steinkirchen 1687, in Neuenfelde 1688, in Hollern 1693, in Estebrügge 1702 und Jork 1709 fallen genau in diese Zeit. Diese Orgelneubauten sind nicht vom Himmel gefallen und waren unvermeidlich, weil die alten Orgeln abgängig waren, aber sie fanden in einer Zeit statt, in der die Kirchenmusik theologisch massiv umstritten war. Das bedeutet: ohne theologische Zustimmung gab es keinen Orgelneubau, wie wir an der 555-Jahr-Feier in Rhysum/ Ostfriesland sehen, wo es eben diese theologische Zustimmung seit der Reformation nicht mehr gab, weil das Gebiet calvinistisch geworden war. Die Orgeln im Alten Land, die um 1680 neu gebaut werden, sind mindestens die dritte Generation von Orgeln in dieser Gegend.
1661 veröffentlicht der Rostocker Theologieprofessor Theophil Großgebauer seine puritanische oder - wie man heute sagt - „frühpietistische“ Streitschrift „Der Wächterruf vom Zion“. Großgebauer ging es nach dem 30jährigen Krieg um eine Erneuerung der Kirche und des christlichen Lebens. Ein Streitpunkt war die Kirchenmusik. Großgebauer meinte, es reiche, wenn die Gemeinde aus vollem Herzen singt. Alles andere sei „eitel“.
Dieselbe Position findet sich auf dem Epitaph von Johann Samuel Büttner, der 1737 hier als Pastor verstorben ist:
„Alles Eitle muß vergehn
Nichts kann in der Welt bestehn
Gottes Gnade wird uns geben
Auferstehung, Kraft und Leben“
So lautet die Inschrift unter dem Bild der Auferstehung nach Hesekiel 37.
Spannend wird es, wenn man genauer hinschaut und dann neben den Seifen blasenden Engeln Musikinstrumente entdeckt. Seifenblasen sind ein Symbol für Eitelkeit und Vergänglichkeit. Damit wird auch Musik als „eitel“ und vergänglich verstanden. Die flackernde Kerze der Vergänglichkeit unterstreicht dieses noch. Ich will hier nicht die Frage diskutieren, wann dieses Bild gemalt worden ist, wichtig ist, dass dieser Pastor diese theologische Überzeugung 1737 vertrat. Das konnte er nur, weil dieses Gebiet seit 1715 „Hannöversch“ und nicht mehr „schwedisch“ war. Die Schweden waren strikt anti-pietistisch.
Doch nun die Argumente für die Kirchenmusik, der wir die herrlichen Orgeln aus der Zeit von 1670-1709 verdanken, von St. Cosmae in Stade bis Steinkirchen und hier in Jork. Ohne diese Argumente gäbe es die „Marke“ Arp Schnitger nicht.
An drei Stellen will ich das deutlich machen: 1. am Epitaph von Clemens Diecmann, 2. am Altar und 3. an den Bildern am Orgelrückpositiv.
1. Das Epitaph von Clemens Diecmann:
Diecmann war als Pastor für die Erweiterung dieser Kirche in den Jahren 1708/9 zuständig, damit auch für den Orgelneubau durch Arp Schnitger. Im Epitaph sehen wir seine Vorstellung der Kirchenmusik, wenn wir die beiden Engel betrachten. Der eine hält einen Zink, ein Blasinstrument, dem zweiten ist seine Geige leider verloren gegangen. An dieser Stelle weisen die beiden Engel auf die „Himmlische Musik“ hin, die erklingen wird, aber bereits auch jetzt im Gottesdienst erklingen soll. Clemens Diecmann gab hier deutlich zu erkennen, dass für ihn die „Figuralmusik“, also mit Instrumenten, zur „Himmlischen Musik“ gehörte.
2. Der Altar:
Am Altar sehen wir zweimal zwei Engel, die Schriftworte umrahmen. Zuerst das „ Heilig, heilig, heilig “ über der Kreuzigungsszene und darunter die hebräischen Buchstaben für Jachwe. Es geht also um das „Heilig, heilig, heilig ist Gott, der Herr Zebaoth“, das wir heute noch im Abendmahl anstimmen. Diese Stelle können wir alle sofort entziffern, weil wir den Text gelernt haben und er im Abendmahl im Gebrauch ist. Dieses „Heilig, heilig, heilig ist Gott, der Herr Zebaoth“ singen die Engel in der Anbetung und im Ruhm Gottes in der „Himmlischen Musik“.
Schwieriger ist die zweite Stelle zu entziffern: „Triumph, Triumph, ein ewiges Halleluja“ oben neben dem triumphierenden Christus. Dieser Text verweist auf einen Beerdigungschoral, der im Barockzeitalter in Norddeutschland gern gesungen worden ist und zu dem es eine Reihe von Orgelbearbeitungen gibt. Heute steht der Choral unter der Nummer 524 im Gesangbuch: „ Freu dich sehr, o meine Seele“ von Christoph Demantius aus dem Jahre 1620. Die letzte Strophe endet mit den Worten: „ Seine Freud und Herrlichkeit sollst du sehn in Ewigkeit, mit den Engeln jubilieren, ewig, ewig triumphieren.“ Doch wie haben wir diese „Himmlische Musik“ zu verstehen? Ist das „ Jubilieren“ der Gesang der Engel oder haben wir es hier mit mehr zu tun?
3. Die Bilder am Orgelrückpositiv:
Die Antwort findet sich in den fünf Bildern am Rückpositiv der Orgel. Vier Bilder stammen aus dem Alten Testament und eins aus dem Neuen Testament. Dass beide Testamente vertreten sind, ist bereits ein Hinweis auf den Streit um die Orgel- und Figuralmusik, also die Begleitung mit Sängern und Instrumenten, denn die klassischen Stellen im Alten Testament reichen nicht mehr.
1706 hat der damalige Stader Generalsuperintendent Johannes Diecmann, der Vetter des Jorker Pastoren Clemens Diecmann, in Stade die berühmte Erbauungsschrift von Johann Arndt, „ Vom wahren Christenthum“, herausgegeben. Im 2. Band und dort im 41. Kapitel, das überschrieben ist „Vom heilsamen Nutzen und der heilsamen Kraft des Lobes Gottes und der Lobgesänge“, finden sich die zentralen Belegstellen aus der Bibel in diesem Streit:
Die vier Bilder zeigen die „Posaunen von Jericho“; David, Harfe spielend, und zwei Engel, der eine mit einer Gambe, der andere mit einer Flöte. Die beiden letzteren sind Zitate aus Psalm 150, „Lobet ihn mit Saiten und Pfeifen“. Das fünfte, entscheidende Bild unter dem Rückpositiv ist die Verkündigung der Engel aus der Heiligen Nacht, Lukas 2, 14: “ Ehre, sei Gott in der Höhe“ lautet das Schriftband, das einer der drei Engel hält. Die beiden anderen blasen Posaunen. Ein deutliches Zeichen dafür, dass für die Erbauer dieser Kirche die Orgel und die Figuralmusik zur „Himmlischen Musik“ gehörten, und nicht nur der Gesang.
Deutlicher lässt sich in einer Kirche der Streit um die „Himmlische Musik“ und das Ringen um die „richtige“ Begründung des Problems nicht in Bilder fassen. Dieser Einstellung verdanken wir die prächtigen Orgeln in unseren Kirchen.
Johannes Diecmann berichtet stolz in seinem Anschreiben an den schwedischen König KarlXI 1693 zu seiner Huldigungspredigt: „Wir wissen allhie bei uns/ Gott Lob/ von keinem Anhang/ so jemand seiner falschen Lehre gemacht hätte. Es hat noch niemand einige Correspondenz zum Vorschein gebracht/ die zum Nachteil und Abbruch unseres Evangelischen Glaubens mit verdächtigen Persohnen von hieraus wäre gepflogen worden. Leute/ welche dem verdammten Unwesen der Quäckerey/ Enthusiasterey/ Schwermerey/ Chiliasterey/ und insonderheit der heutigen Tages so sehr beschrienen und so heßlich beschriebenen Pietisterey ( so ferne darunter eine eigene/ sich von den Rechtgläubigen durch neue Lehr-Sätz trennende/ Secte angegeben wird) heim- oder öffentlich nachhengen sollten/ sind bey uns unbekandt.“
Argumente wie die von Theophil Großgebauer, die puritanisch geprägt sind, wie bei den Quäkern und Pietisten, die Diecmann anführt, haben hier keine Geltung. Für Generalsuperintendent Johannes Diecmann galt, „Himmlische Musik“ zur Erbauung der Gemüter und Herzen der Gemeinde im Gottesdienst lässt sich ohne Orgel- und Figuralmusik nicht vorstellen. Dieser theologischen Haltung, die in den Bildern und Zitaten dieser Kirche deutlich wird, verdanken wir bis heute unseren Orgelreichtum und die „Marke“ Arp Schnitger.
Hans Tegtmeyer, Jork 12.4.2012
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