Hinter den Kulissen – Die Königin lädt ein Tatsachen und Turbulenzen aus der Orgelwelt
Auorin: Jenny Setchell
Verlag: Butz
Ein Verlag, dessen Existenz an ein Wunder grenzt und ein wunderliches, wohl einzigartiges Orgelbuch: Jenny Setchell „Hinter den Kulissen – Die Königin lädt ein – Tatsachen und Turbulenzen aus der Orgelwelt“
Die Existenz dieses Verlags ist ein kleines Wunder: Der Musikverlag Dr. J. Butz, im Netz unter www.butz-verlag.de, verlegt Kirchenmusik, Orgelnoten und Literatur über Kirchenmusik und Orgelmusik. Und natürlich über Orgeln. Im Gegensatz zu den meisten anderen Verlagen sind selbst diejenigen Bücher, die vielleicht einen größeren Publikumskreis ansprechen, Spezialistenbücher mit nur begrenzter Ausstrahlung. Wie man es als Verlag auf Dauer schafft ohne Kassenschlager, die weniger gefragte Bücher querfinanzieren zu überleben, das ist ein Geheimnis dieses Verlags, dessen Existenz allerdings für all diejenigen, die sich in diesem Interessensbereich bewegen, ein Segen ist.
Wenn man mal nur auf das Buchprogramm schaut, so findet man Bücher über verschiedensten Orgelmusikkomponisten abseits von Johann Sebastian Bach. Die deutsche Orgelmusikromantik ist da genauso vertreten wie die weitaus bedeutendere aus Frankreich und die Musik aus der Zeit der Orgelbewegung. Schriften über Messiaen, Reger und Buxtehude stehen neben Büchern über bedeutende Organisten wie Daniel Roth und Ton Koopman. Und natürlich gibt es auch Bände, mit denen man versucht ein Publikum zu erreichen, das sich nicht direkt für Fachliteratur interessiert: Schöne Bildbände, originelle Bücher über Orgeln oder auch mal eine Anekdotensammlung. Aber immer bleibt das angesprochene Publikum im Bereich des speziellen und kleinen Kreises der Interessenten für Orgelmusik aller Arten und aller Zeiten.
Ein Ende letzten Jahres erschienenes Buch mit dem Titel „Hinter den Kulissen - Die Königin lädt ein – Tatsachen und Turbulenzen aus der Orgelwelt“ ist ein Werk, das alle Grenzen von Buchgattungen sprengt. Es ist zwar ein Bildband, dafür aber mit einem quadratischen Format von knapp 19 cm Seitenlänge sehr klein. Und hat dabei einen Umfang, der einem eine tage- wenn nicht gar wochenlange Lektüre ermöglicht: um die 370 Seiten. Des weiteren ist das Buch eine Anekdoten-Sammlung zu allem rund um Orgeln, Orgelmusik und ihre Komponisten und Organisten. Und es ist zugleich auch eine Einführung in den Orgelbau und, en passant und wirklich nur angerissen, teilweise auch in die Orgelmusikgeschichte. Vor allem aber ist dieses Buch ein Schmökergenuss. Und zwar nicht nur für Orgelfreunde, sondern auch für Fotofreunde und für Menschen mit Sinn für das Ungewöhnliche.
Wo findet man schon seitenweise Fotos von ganz unterschiedlichen Spieltischen mitsamt den Registraturen. Mal geht es der Autorin nur um die einzelnen Manuale, mal um ganz unterschiedliche Pedalklaviaturen, mal um die Registraturen, ein weiteres Mal um allerlei, teils höchst originelle Spielhilfen. Was da so alles zu entdecken ist, das ist alleine schon die Lektüre des Buches wert: Da gibt handgeschnitzte Registerzüge zu sehen, bei denen jeder Knopf einen Kopf darstellt. Und moderne Registrieranlagen mit zusätzlicher Elektronik zum Abrufen abgespeicherter Klangkombinationen. Es gibt historische Schriftzüge zu bewundern, aber durchaus auch die Lieblosigkeit heutiger, rein funktionaler Beschriftungen. Und natürlich finden sich allerlei Ansichten von Orgeln aus Standardperspektiven, aber immer wieder auch aus ganz besonderen Blickwinkeln. Auch das Spektrum der abgebildeten Orgeln ist riesig, nur leider sind die vielen Orgeln im deutschsprachigen Raum nicht so stark vertreten wie es dem Rang deutscher Orgelbaukunst nach angemessen wäre. Aber das ist wohl der neuseeländischen Herkunft der Autorin und ihres orgelspielenden Mannes geschuldet. Und mit diesem kleinen Mangel kann man leben, schließlich gibt es über die Orgelbauten in den Orgellandschaften zwischen Sachsen und Elsass oder zwischen Ostfriesland und den Alpen einiges an Literatur und Bildbänden.
Je öfter man dieses Buch durchblättert oder ausschnittweise liest und dann wieder einfach nur die Bilder mit ihren teilweise sehr informativen, manchmal aber auch leider dürftigen Angaben betrachtet, desto mehr staunt man, dass man selbst beim zehnten Mal noch etwas Ungewöhnliches entdeckt in diesem Band. Mal sind es köstliche Grafiken und Karikaturen, die humoristisch und mit köstlichem Hintersinn spezifische Orgelthemen ins Visier nehmen. Mal sind es Anekdoten, die aus dem Leben von Organisten und Orgeln erzählen. Oder Erläuterungen zu Fotos, auf denen man erst beim zweiten Blick erkennt, was da Originelles zu sehen ist. Das reicht vom Register für eine Schublade, die sich beim Ziehen öffnet und alkoholische Köstlichkeiten bietet. Natürlich ist das ein Joke, aber einer, der nicht einmal ein Alleinstellungsmerkmal wäre. Dieses „Register“ dann auch noch wie in Ratzeburg Rauschwerk zu nennen, das spricht dann aber wirklich für den Humor der auftraggebenden Kirchengemeinde oder des Organisten, aber auch des Orgelbauers. Und derlei Sonderlichkeiten erfährt man in diesem Buch en masse. Und die Liste ungewöhnlicher Bildreihen würde Seiten füllen. Alleine schon die Idee zwölf verschiedene sehenswerte Aufgänge zu Orgeln aus ungewöhnlichen Blickwinkeln zu fotografieren, ist so originell und dabei so naheliegend, dass man sich wundert, warum solche Bilderfolgen nicht schon in anderen Büchern zu finden sind.
Auch sehr reizvoll: Das Bildkapitel über die Perspektiven, die ein Organist in die Kirche hat. Aber bei aller Begeisterung für die Originalität und Qualität der Fotos. Das wäre alles nur eine halbe Sache, wenn es nicht auch noch die vielen kleinen Texte zu einzelnen Aspekten des Orgel- und Organistendaseins gäbe, davon ein Kapitel reizvoller als das andere. Wer in diesem Buch ein tiefschürfendes Konzept sucht, dem sei gesagt, dass er es nicht finden wird. Darauf ist dieses Buch nicht angelegt. Es ist mehr ein Assoziationsreigen zum Thema Orgel und als solches dermaßen gut und interessant, dass man es immer wieder in die Hand nehmen wird. Keine Frage: Dieses Buch ist ein Muss für jeden Orgelfreund. Was in diesem Band im breitesten Spektrum vom technischen Detailfoto bis zur grandiosen Orgeltotale alles bildlich enthalten ist, das wird nur noch übertroffen von der Vielfalt, dem Informationsreichtum und dem Unterhaltungswert der Texte. Unbedingt empfehlenswert. Dass dieses trotz der genannten kleinen Einwände so originelle wie großartige Buch gerade einmal 26 Euro kostet, das will man gar nicht glauben.
Reinald Hanke - für www.orgel-information.de
Oktober 2019 / Januar 2020
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