Zipoli in Diamantia - Complete Organ Works
Interpret: Marco Brescia Instrument: Manoel de Almeida e Silva-Orgel in Diamantina, Minas Gerais, Brasilien
Label: paraty
Äußerst bemerkenswert ist das Instrument, das auf dieser CD erklingt. Es ist die älteste in Brasilien erhaltene Orgel, 1787 mit neun ungeteilten Stimmen mit einem Manualumfang von FF bis f‘‘‘ im Eigenbau fertiggestellt von Pater Manuel de Almeida e Silva, genaue Lebensdaten sind nicht greifbar. Historische Quellen deuten darauf hin, dass der in Ibero-Amerika führende Komponist José Joaquim Emerico Lobo de Mesquita (1746 – 1805), der erste Organist, der das Instrument spielte, den Orgelbau begleitet hat. Die Orgel steht im Chor der Kirche des Dritten Ordens von Nossa Senhora do Carmo in Diamantina, Staat Minas Gerais, Brasilien. Das 6‘-Instrument, das über je zwei Oitava- (3‘) und Quinzena-Register (1½‘) und neben dem Principal über ein Gedackt, eine Offenflöte und eine Zungenstimme verfügt, lässt die Register ab Oitava I (3‘) bereits bei f1 repetieren (Dozena (2‘) und Quinzena (1½‘) repetieren eine Oktave höher noch einmal), was den Klang sehr prononciert werden lässt. Der Winddruck ist leider nicht eruierbar, die Stimmtonhöhe liegt bei 431Hz bei 180 C, die Temperatur ist mitteltönig mit 1/5 syntonischem Komma. Gehäuse und Holzpfeifen wurden aus nationaler Zeder gebaut und schützten sie so vor Insekten, die europäische Hölzer importierter Instrumente angriffen. Von den 1950er Jahren bis zu ihrer Restaurierung durch die Werkstatt von Frédéric Desmottes Ende 2013 schwieg die Orgel.
Auf diesem Instrument spielt der Portugiese Marco Brescia die überlieferten Orgelwerke von Domenico Zipoli (* Prato (I) 1688, † Córdoba/Argentinien 1726). 1710 wurde Zipoli Organist in Rom, dort komponierte er seine ersten Messen und Oratorien. Als Mitglied des Jesuitenordens reiste Zipoli im April 1717 nach Südamerika, wo er sich schließlich bei Córdoba niederließ. Neben der Fortführung seines Theologie- und Philosophiestudiums widmete er sich dort weiterhin musikalischen Aufgaben. Seine Kompositionen, darunter Messen, Psalmvertonungen, Hymnen und die Oper San Ignacio (Überarbeitung der Partitur eines unbekannten Komponisten in Bolivien) erlangten unter den Missionsmitgliedern große Berühmtheit, zeitgenössische Kopien finden sich in vielen Bibliotheken Lateinamerikas. Zipoli starb 37-jährig an Tuberkulose kurz vor dem Erhalt der Priesterweihe.
Aus seiner Zeit in Italien, aus dem Jahr 1716 stammen seine Sonate d’Intavolatura für Orgel und Cembalo. Eine Toccata eröffnet die Reihe von 5 Versettenfolgen, die jeweils mit einer Canzone schließen, dazu kommen noch u.a. drei Toccaten all’Elevazione und die bekannte Pastorale. Brescia fügt diesen Sätzen noch fünf Zipoli zugeschriebene Sätze aus dem Archivo Musical de Chicquitos a Concepcion (Bolivien) hinzu, darunter die ganz hörenswerten Folia-Variationen. Zipolis Musik ist meist zweistimmig und stellt kaum spielerische Ansprüche. Brescia widmet sich ihnen mit großer Begeisterung, nur wenige (leider etwas undeutlich gespielte) Verzierungen halten das Klangbild deutlich, auch eine deutlichere Phrasierung wäre wünschenswert gewesen.
Das Booklet lässt zwar eine gute Bebilderung vermissen, aber Brescias Einleitungstext bringt fast alle notwendigen Informationen. Die absolut interessante Orgel von der anderen Seite der Weltkugel alleine gibt schon Anreiz genug für diese CD!
Rainer Goede
Mai 2020 / Dezember 2020
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