Ernst Ludwig Gerber - Choralvorspiele
Herausgeber: Gerhard Weinberger Verlag: ortus
Ernst Ludwig Gerber (1746-1819) ist als Autor von Musiker-Lexika (sein Historisch-biographisches Lexikon der Tonkünstler von 1790/92 erschien auch in Paris und London) zwar gut bekannt, dass er als Hoforganist in Sondershausen zwischen 1772 und 1800 auch eine Sammlung von etwa 50 Choralvorspielen u.a. schrieb, ist hingegen kaum bekannt. Greifbar war bisher nur eine Auswahl von 7 Chorälen (Boeyenga, Hg. Ewald Kooiman, Sneek/NL o.J.). Die heute in zwei Quellen in Brüssel und Berlin noch erhaltenen 31 Orgelchoräle hat nun Gerhard Weinberger zum ersten Mal vollständig ediert.
Dass Gerber diese Sätze auf nur sieben Choralmelodien schrieb, mag mit seiner lexikographischen Leidenschaft korrespondieren, verschiedene Möglichkeiten der Bearbeitung sind hier zusammengetragen. So lassen sich etliche Sätze auch zu kurzweiligen Partiten von etlichen Teilen zusammenstellen.
Manche Trio-Sätze erinnern im ersten Moment an die hohe imitierende und erhebliche spielerische Qualitäten verlangende Triokunst der Bachschule (Krebs, Homilius), doch erschöpfen sie sich schnell in parallelen Terzen und Sexten, die sehr einfache Harmonik Gerbers lässt zudem auch keine längeren Satzausmaße zu - blättern muss man deswegen nie - nur selten bedient er sich dabei des gefälligen Stils seiner Zeit. Irreführend ist zumeist die Bezeichnung „a 2 Man.“, hier folgt kein Trio, sondern ein Satz mit zweistimmiger Vorimitation auf dem Pianoklavier, dem die Cantus-Durchführung auf einem Forte-Manual folgt, häufig mit einer weiteren die Harmonik füllenden Stimme, zweimal sogar generalbassmäßig wie bei Gronau gesetzt. Zweimal findet sich der Choral in der Mittelstimme der linken Hand, einmal im Pedal mit einem 4 Fuß registriert. Bei manchen Sätzen stand die weniger anspruchsvolle Satzart der Pachelbelschule (Buttstedt, Vetter) offenbar Pate, hier tut es auch nur die Durchführung der jeweils ersten Verszeilen.
Ein Hingucker sind manche Spielanweisungen, sie betreffen z.T. Registrierungen (Sanft 8füßig, Gedackt 8f allein, Flötentrio, Beyde Man. alle 8füßigen das obere Man. gekoppelt), dynamische Grade (p, f), die die Verteilung auf zwei Manuale angeben, aber auch das Auf- und Abregistrieren eines Manuales im währenden Satz ermöglichen (s. Daniel Gottlob Türk (1750 – 1813), Von den wichtigsten Pflichten eines Organisten (Leipzig u. Halle 1787, S. 126): Man gebraucht zum Vorspielen der Melodie gern die Vox humana, oder ein ähnliches Register, z.B. die Oboe etc.; die begleitenden Stimmen werden auf einem schwächeren Klaviere gespielt, damit man den Choral deutlich und durchdringend höre. Wer nur ein Klavier hat, der kann wenigstens zum Canto firmo noch ein starkes Register ziehen, welches bey den Zwischenspielen wieder hinein gestoßen wird…).
Die Ausgabe bringt nach einem Vorwort die Beschreibung der Orgel, die Gerber in Sondershausen zur Verfügung stand, den Kritischen Bericht, das Alphabetische Verzeichnis und ein Faksimile. Der Herausgeber hat die zweisystemigen Vorlagen durchweg zu dreisystemigen erweitert. Auf Seite 37 hat sich ein Irrtum eingeschlichen: in Takt 37,4 fehlt die Bezeichnung forte, in Takt 41 steht versehentlich forte statt piano.
Dem Herausgeber gebührt Dank, dass er die Wissenslücke um Gerber geschlossen hat, allerdings bringt dieser Lückenschluss keine musikalischen Neuigkeiten. Vielmehr ist der Rezensent enttäuscht, dass Gerber als Komponist mit seinen kleinen und unwichtigen Piècen noch nicht einmal entfernt an seine Zeitgenossen Oley, Hässler, Rembt oder Knecht herankam. Vielleicht hat er einfach in einer falschen Zeit gelebt.
Rainer Goede - für www.orgel-information.de
Oktober 2019 / Februar 2020
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