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Der komponierende Organist um 1700

Autor: Andreas Weil
Verlag: Dohr


„Urschweigen starrt ... Es waltet Finsternis ... Da bricht ein Strahl aus zackigem Wolkenriß…“ So beschreibt Hermann Hesse den Beginn des wohl berühmtesten Orgelstücks in seinem Gedicht Zu einer Toccata von Bach. Musikalisch ausgedrückt erklingt ein Mordent, der sich abwärts in eine Tirata entlädt und nach einem kurzen Stopp am Leitton in den Grundton mündet. Jeder, der diese prägnante musikalische Aussage hört, weiß, dass es sich hierbei um „die Toccata von Bach“ handelt.

Zumindest wird das Stück derart im Volksmund genannt. Musikkenner verwenden dann schon häufiger den korrekten Titel „Toccata und Fuge in d von Johann Sebastian Bach“. Für Organisten, Musikwissenschaftler und all jene, die sich intensiver mit dem Stück beschäftigen, stellt sich hingegen die Frage, ob Johann Sebastian Bach tatsächlich der Schöpfer dieses Werkes ist. Ein fehlendes Autograf, zahlreiche Vortragsbezeichnungen, verglichen mit anderen Werken einzigartige Kompositionsweisen und eine nicht allzu orgeladäquate Schreibweise werfen unter anderem Zweifel an der Autorschaft Bachs auf. Auch die Frage, ob das Stück nicht ursprünglich für Violine gedacht war, steht im Raum.

Diesem durchaus komplexen Themengebiet nimmt sich Andreas Weil an und versucht jenen Fragen auf den Grund zu gehen. Neben seiner Tätigkeit als Kantor an der Kirche St. Michael zu den Wengen in Ulm hat er sich intensiv mit der Echtheitsfrage des BWV 565 beschäftigt und ein spannendes Ergebnis vorgelegt. Seine Dissertation mit dem Titel „Der komponierende Organist um 1700“ ist im Verlag Dohr Köln erschienen.

Anders als einige seiner Kollegen hat Weil versucht, die oft subjektive Betrachtung der Echtheitsfrage so gut es geht zu umgehen. Anhand der historisch-theoretischen Analysemethode widerlegt er so manche Zweifel anderer Autoren und versucht mit den daraus erlangten Erkenntnissen das Stück konkreter in Bachs Biografie zu platzieren. Ausgehend von der Einschätzung mehrerer Bach Forscher, dass die Toccata im Zeitraum zwischen 1702-1717 entstanden sei, ordnet Weil dieses Opus anhand von plausiblen Argumenten bereits in den Jahren 1702/03 ein.
 
Abgesehen von interessanten neuen Erkenntnissen zum wohl berühmtesten Orgelstück erhält der Leser aufgrund quellenbasierter Analyse umfangreich Informationen darüber, wie man zur Zeit Bachs über Musik gedacht hat und wie gelehrt wurde. Auf Basis biographischer Details aus Bachs Umfeld und theoretischer Werke, unter anderem von Mattheson, Walther und Werckmeister, ergänzt durch Forschungsergebnisse der letzten Jahrzehnte, wird ein schöner Überblick geschaffen, der den "komponierenden Organisten um 1700" bestens beschreibt.

So wie der Inhalt der Arbeit präsentiert sich das Buch auch von außen. Auf der robusten Hardcover-Bindung finden sich die ersten Takte der Toccata in der frühesten Quelle des Stückes, nämlich in der Abschrift von Johannes Ringk. Die Arbeit selbst ist klar gegliedert und zahlreiche Notenbeispiele unterstützen bzw. verdeutlichen die Darlegungen. Positiv ist auch der Umgang mit der Sprache, die trotz vieler Quellenzitate einen angenehmen Lesefluss ermöglicht. Als praktisches sowie dekoratives Detail sei auch noch das Leseband erwähnt, welches das Buch ziert.

Ein spannender neuer Blick also auf ein Meisterwerk, das egal aus welcher Feder es stammt, seiner Aufgabe nachkommt, nämlich Menschen zu beeindrucken und zu bewegen. Oder, um es mit den letzten Worten Hesses auszudrücken: „Ist Trieb, ist Geist, ist Kampf und Glück, ist Liebe.“


Johannes Zeinler
für www.orgel-information.de ---- November 2020 / Februar 2021

Dieses Buch ist im gut sortierten Buch-/Musikhandel erhältlich
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