Die Gedächtniskirche oder vom Glück des Musizierens
Mehr als 400 Menschen bringen das Gotteslob in den evangelischen Kirchen der Speyerer Kernstadt singend und spielend zum fortwährenden Klingen – Eloge auf ein öffentlichkeitswirksames sakrales Ehrenamt
Dass man in Speyer beim Thema Kirchenmusik nicht zwangsläufig in Richtung Dom und dessen in Tat qualifiziert aufgestellte Programm schauen, sondern auch sein Gegenüber, die Protestantische Gedächtniskirche in den Blick nehmen sollte, ist nicht allein Insidern längst Selbstverständlichkeit. Da arbeiten zwei Verkündiger auf Augenhöhe. Und gerne auch äußerst publikumswirksam im überkonfessionellen Verbund, wie mit der Benefizaktion „Ökumenischen Orgelspaziergang“, der am
5. Mai bereits zum zwölften Mal Publikumsströme aus der ganzen Kurpfalz in die Speyerer Kernstadt locken wird.
Im Übrigen: Der Terminkalender der evangelischen Kirchenmusik in Speyer ist 2024 attraktiv und wohlgefüllt. Bachs Opus Magnum, die „Matthäuspassion“ am 24. März (Dreifaltigkeitskirche) und das weniger unbekannte, nichts destotrotz großartige spätromantische Werk „Le Laudi“ des Schweizer Komponisten Hermann Suter am 10. November (Gedächtniskirche) markieren die astralen Höhepunkte des Konzertjahrs, flankiert von einem üppigen Reigen wunderbarer Orgelkonzerte, Bläser- und Gottesdienstmusiken.
Und nicht zuletzt: Auch der Nachwuchs genießt Pflege und Förderung auf hochprofessionellem Niveau. Zu besichtigen bei zwei Musical-Aufführungen im April. Simone Pepping-Sattelberger, die ja vom Theater kommt, hat ihre wirkmächtige Schar von immerhin 85 Jüngst- und Jungkehlen dramaturgisch wie optisch für Peter Schindlers „Max und die Käsebande“ bühnentauglich präpariert. Es läuft prima, freut sich Kirchenmusikdirektor Robert Sattelberger, „endlich wieder.“ Dass erst die Corona-Pandemie mit ihrer Versammlungs-Flaute und ihren sozialen Isolierungsmechanismen die Unentbehrlichkeit gemeinsamer Musikausübung drastisch vor Augen führte, ist längst unbestritten.
„Die Neuanfänge in 2022 waren zunächst tastend, vorsichtig, aber die Lust, wieder in Gemeinschaft singen und spielen zu können, hat überlebt“, schildert der Bezirkskantor. Und Mijam und Arne Dembek – beide teilen sich das Speyerer Dekanatsamt seit 2023 – stimmen zu, unterstreichen nicht zuletzt die Brückenfunktion kirchenmusikalischer Präsenz. Zum einen rekrutiere sie eine Vielzahl von Ehrenamtlern – die größte Gruppe innerhalb der Landeskirche überhaupt – zum anderen binde sie durch ihre emotional-spirituelle Qualität selbst eher kirchenkritische Menschen ein. „Und das in einer nach allen Seiten offenen, berückenden stilistischen Vielfalt“, wie Mirjam Dembeck ergänzt.
Und in der Tat: Wer sich vor Augen führt, was das baulich leider arg in die Jahre gekommene Martin- Luther-King-Haus als Proben- und Versammlungsstützpunkt so im Laufe einer Woche an fußläufiger Kirchenmusik beherbergt, staunt nicht schlecht.
Würde man sie mal alle aufmarschieren lassen, die da ihre Stimmen oder Instrumente einbringen, ließe sich das Martin-Luther-King-Haus mit der ansehnlichen Menschenkette von mehr als 400 Köpfen weiträumig umrunden. Da sind die Chöre unter Robert Sattelberger Leitung – Kantorei und gottesdienstlicher Chor mit zusammen 150 Mitgliedern. Die Kinderchöre mit derzeit 85 kleinen Lerchen in verschiedenen Altersgruppen wiederum leitet Simone Pepping-Sattelberger.
Weiter empfiehlt sich der mit 25 Bläsern quer durchs instrumentale Spektrum fabelhaft aufgestellte Posaunenchor unter Leitung von Philipp Neidig, der es im Jahresmittel auf 25 bis 30 öffentlichkeitswirksame Einsätze bringt – in Gottesdiensten, Seniorenheimen, Marktmusiken und Konzerten. Hinzu kommen die Holzbläser, sprich der Flötenkreis an der Gedächtniskirche, und die Studenten des Kirchenmusikalischen Seminars.
Und auch der vor 25 Jahren gegründete DreiCant-Chor der Dreifaltigkeitskirche, der unter dem Dirigat von Susanne May-Rohde erfolgreich Richtung Zeitgenössischer Kirchenmusik unterwegs ist, probt im Haus neben der Gedächtniskirche. Unter dessen Dach Robert Sattelberger somit 320 Musiktreibende auflisten kann.
Damit ist aber das Spektrum noch keineswegs erschöpft. Denn im Diakonissenhaus proben Chor und Flötenkreis unter Leitung der dortigen Kirchenmusikerin Ruth Zimbelmann – immer wieder auch in den Gottesdienstmusiken der Gedächniskirche präsent. Und es gibt den Kinderchor an der Dreifaltigkeitskirche, der sich gerade auch in einen Jugendchor verzweigt hat. Damit erweitert sich die Zahl der in den evangelischen Stadtgemeinden kirchenmusikalisch Aktiven auf die oben genannten 400.
Natürlich – das bleibt erst einmal ein, wenn auch imposantes, mathematisches Gebilde. Essentiell ist dagegen die inhaltliche Ausrichtung, die schon erwähne Pluralität, für die mit dem „Triangel- Gespann“ Sattelberger /Neidig – Zimbelmann - May-Rohde die Weichen hervorragend gestellt sind. Mit Peter Schindler „Jazz-Messe“ oder Ariel Ramirez „Missa Criolla“ etwa hat DreiCant festgefahrene Pfade längst verlassen und sich mutig und neugierig auf Spurensuche zu neuen Impulsen begeben. Beim Serenadenkonzert im Paradiesgarten am 15. Juni beispielsweise kann man sich davon überzeugen, ebenso wie beim 25er Jubiläumskonzert am 16. November in Dreifaltigkeit mit Peter Schindlers Werk „Sonne, Mond und Sterne“.
Gottesdienste wie repräsentative Veranstaltungen – Ruth Zimbelmanns Chor- und Flötenkreise werden auch in diesem Jahr wieder vielfach zu Einsatz kommen. Und gerade ihre Gemeinschaft erzählt etwas vom gemeindlichen Zusammenwachsen. Rekrutiert sie ihre 40 Stimmen starkes Ensemble doch recht plural aus Mitarbeitenden und Ehemaligen der Diakonissen, Gemeindegliedern von Gedächtnis- und Auferstehungskirche sowie Auswärtigen.
Im Terminkalender von Robert Sattelberger prangt ein reicher Katalog attraktiver musikalischer Events. Ein ganzer Zyklus signifikanter Orgelkonzerte – fabelhafte inhaltliche Porträts zu Fasching wie Karfreitag, Pfingsten wie Himmelfahrt nebst einem Cembalo-Abend wirbt Tastenstars wie Andreas Meisner, Chris Jarrett, Kristian Nyquist und natürlich Robert Sattelberger selbst. „Max und die Käsebande unter Simone Pepping-Sattelbergers Rundumregie – Einstudierung, Kostüme, Bühnenbild – befeuert am 27. und 28. April, jeweils 16 Uhr, die Bühne im Martin-Luther-King-Haus Ans Jahresende geschaut werden geistliche Abendmusiken und die besonders innige Musik im Kerzenschein an den Adventssonntagen erneut das geschichtsträchtige Gotteshaus füllen, ebenso wie die traditionelle Silvestermusik mit LJO-Brass am letzten Abend des Jahres. Und dann sind da, wie oben erwähnt, die zwei ganz großen Konzertereignisse im Frühjahr und Herbst, bei denen die Energie, die Impuls gebende Kraft des gemeinsamen Singens der Bezirkskantorei erfahrungsgemäß geradezu künstlerische Flügel verleiht.
Lange geplant, durch Corona vereitelt, kommt am 10. November das opulent besetzte spätromantische Oratorium „Le Laudi“ – Sattelberger übertitelt es lieber „Sonne, Mond und Sterne“ (Die Lobgesänge des Franz von Assisi) von Hermann Suter als ökumenisches Projekt gemeinsam mit dem Chor der katholischen Camerata Vocale Ludwigshafen (Georg Treuheit) auf die Altarbühne der Gedächtniskirche. Begleitend dazu gibt es ein Orchesterwerk, „Die Moldau“ von Bedrich Smetana.
Aktuell aber wird auf den 24. März hingeprobt, die Aufführung der „Matthäus-Passion“ von Johann Sebastian Bach, für Robert Sattelberger eine Premiere am Pult. „Man gestaltet das Werk sicher als gereifter Dirigent nochmal ganz anders als in jungen Jahren. Jetzt passt es einfach für mich.“ Wieder mitmischen will der umtriebige Kirchenmusikdirektor am 3. Oktober, wenn die Aktion „Deutschland singt“ in ihre fünfte Runde startet. Und wie bei der Teilnahme 2023 geschehen, bei dem sich rund 30 sangesfreudige Menschen von soziohygienischen Virus des gemeinsamen Singens anstecken ließen, hofft er auch wieder auf Neuzugänge für seine immerhin propere 100 Stimmen starke Bezirkskantorei.
Wichtiger Hinweis zum Ende: Künftig wird für alle Konzerte im Winterhalbjahr grundsätzlich um 17 Uhr, von April bis Oktober dagegen um 18 Uhr geläutet.
Hinweis: Sonntag, 24. März, 17 Uhr, Dreifaltigkeitskirche Speyer; Karten zu 25, erm. 10 Euro, beim Capella-Verlag in der Roßmarktstr., und unter www.resevix.de
Gertie Pohlit
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